Es ist eine skurrile Komödie über einen jungen Spielzeug-Designer, der aus Aufenthaltsgründen bei einer Künstler-Witwe anheuert: Julio Torres’ Regiedebüt „Problemista“, ab dem 13. Juni in Deutschland im Kino zu sehen. Ein Interview mit dem schwulen Regisseur, Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Mit-Produzenten in Personalunion.
Mr. Torres, in Ihrem Debütfilm „Problemista“ erzählen Sie von einem jungen Mann aus El Salvador, der nach dem Ende seines Studiums von einer Karriere in den USA träumt und beim Versuch, ein Arbeitsvisum zu bekommen, in die mitunter kafkaesken Mühlen der US-Einwanderungsbehörden gerät. In der Geschichte stecken einige persönliche Erfahrungen, richtig?
Teile des Films reflektieren ohne Frage meine tatsächlichen Erfahrungen, aber andere haben wirklich gar keinen Bezug zu meiner Biografie. Das will ich gleich vorweg klarstellen. Ich habe mich auch nicht eines Tages hingesetzt und überlegt, welches Thema ich mir für meinen ersten Film vorknöpfen könnte, sondern die Ideen zu „Problemista“ sind eher über die Jahre in mir gewachsen.
Das Archivieren von Kunst und allgemein das Künstlerdasein sind beispielsweise Dinge, die mich schon länger beschäftigen. Was lässt man zurück, wenn man stirbt? Wie verändert sich die Rezeption von Kunst, wenn der Künstler nicht mehr lebt? Überhaupt: Wie unwahrscheinlich ist es, mit Kunst wirklich erfolgreich zu sein? In etwa so unwahrscheinlich, wie in die Vereinigten Staaten einzuwandern und sich dort seine Träume zu erfüllen. Die längste Zeit war der Arbeitstitel des Films deswegen auch „Impossible Journeys“.
Hatten Sie Sorge, der Film wird zu persönlich, wenn Sie Ihre eigene Geschichte erzählen?
Eher zu uninteressant. Von meinen eigenen Erfahrungen als Einwanderer in den USA zu erzählen, schien mir zu einfach, zu banal und vor allem zu selbstgefällig. Ich wollte mich dem Thema an sich schon widmen, aber ich musste erst einen Weg finden, daraus etwas Besonderes zu machen.
Als mir irgendwann solche Einfälle kamen, wie dass ich Webseiten personifiziert als Menschen in Erscheinung treten lasse, und als ich den geeigneten Tonfall und diesen Anflug von magischem Realismus fand, wusste ich schließlich, was für einen Film ich drehen muss. Und gerade was diese Ansätze angeht, ist „Problemista“ übrigens sehr wohl sehr persönlich und typisch Julio Torres.
Das Besondere am von Ihnen gerade erwähnten Tonfall ist, dass man Bitterkeit und Wut trotz des fast vergeblichen, an einen Teufelskreis erinnernden Ringens um eine Aufenthaltsgenehmigung in dieser Geschichte eigentlich vergeblich sucht.
Das entspricht einfach meiner Haltung und meiner Lebenseinstellung. Mir ging es nicht darum, gezielt jenen Filmen etwas entgegenzusetzen, die dieses Thema traurig oder empört verhandeln, schließlich will ich anderen Künstlerinnen und Künstlern nicht ihre Empfindungen absprechen.
Aber meine Version ist eben diese, nur so fühlte sich das für mich ehrlich an. Für mich geht es nie darum, ein Problem zu überwinden, sondern es zu umarmen. Egal ob die Einwanderungsbehörde oder launische Vorgesetzte – ich mag es, an Problemen zu wachsen.
Sie haben sogar mal gesagt, Sie würden sich von Problemen angezogen fühlen. Oder meinten Sie, dass Sie sie anziehen?
Eben nicht, das ist genau der Unterschied. Lange Zeit war ich ein wenig verzweifelt und fragte mich, warum ich immer irgendein Problem habe. Ziehe ich die an wie ein Magnet? Irgendwann realisierte ich dann, dass ich mich im Gegenteil von ihnen angezogen fühle. Ich suche und brauche scheinbar ein gewisses Maß an Chaos in meinem Leben. Deswegen bin ich wohl auch in New York gelandet. Denn ich scheine immer dann am besten zu funktionieren, wenn ich Probleme lösen kann. Wenn es läuft wie geschmiert, bin ich dagegen nie sonderlich motiviert oder inspiriert.
Sehen Sie so auch Ihre Arbeit als Autor oder Regisseur: als Lösen von Problemen?
So wie ich die Sache angehe, tatsächlich. Die Projekte, denen ich mich widme, gehen stets mit irgendwelchen logistischen Schwierigkeiten einher. Und es sind nie solche, die wirklich den Mainstream ansprechen und damit kommerziell aussichtsreich wären. In dieser Hinsicht ist meine Arbeit immer ein wenig störrisch und nie bereit, für die Aussicht auf Erfolg irgendwelche Kompromisse einzugehen.
Damit mache ich es mir natürlich schwerer, aber genau solche künstlerischen Karrieren habe ich immer bewundert. Ich wünsche mir, eines Tages so auf mein Werk zurückblicken zu können, wie es jemand wie David Lynch hoffentlich tut. Der hätte sicherlich ein deutlich luxuriöseres Leben führen können, wenn er sich mehr verbogen hätte. Aber er ist eben auch nie den einfachsten Weg gegangen.
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So eigenwillig und schräg „Problemista“ daherkommen mag, spielt immerhin Tilda Swinton die weibliche Hauptrolle an Ihrer Seite. Wie konnten Sie eine Oscar-Gewinnerin für Ihr Projekt gewinnen?
Ich habe ihr ganz regulär über ihre Agentur das Drehbuch zukommen lassen und hatte das Glück, dass sie damit etwas anfangen konnte. Dass sie mit meiner Arbeit vertraut war, wusste ich damals noch gar nicht. Das Besondere an Tilda ist, dass sie in der Arbeit immer nach Menschen sucht, zu denen sie sich hingezogen fühlt und deren kreative Welt mit ihrer kompatibel ist. Viele Schauspielerinnen und Schauspieler sagen, für sie sei die Figur, die sie spielen sollen, das Wichtigste. Für Tilda ist das zweitrangig. Die guckt immer als Erstes, ob sie sich wohlfühlt mit dem Menschen, mit dem sie es da zu tun hat.
Der Durchbruch als Comedy-Autor gelang Ihnen durchaus auch im Mainstream, schließlich gehörten Sie von 2016 bis 2019 zum Writers Room der legendären Sketch-Show „Saturday Night Live“. Konnten Sie in dem Umfeld stets Sie selbst bleiben?
Erfreulicherweise ja, und ich habe in diesen Jahren unglaublich viel gelernt. Ich hatte in dem Job nie das Gefühl, nicht das machen zu können, was ich wollte. Alle Sketche, die ich damals schrieb, waren genau mein Ding – und wenn ich Glück hatte, konnten die anderen damit etwas anfangen und sie landeten in der Sendung. Und wenn nicht, dann eben nicht.
„SNL“ ist dieser riesige Tanker in der Comedy-Welt, doch man weiß dort sehr genau, dass man von den einzelnen, sehr verschiedenen Stimmen und Talenten lebt, die dort zusammenkommen. Die Sendung ist immer dann am besten, wenn sie ein echtes Mosaik aus den verschiedensten Humorrichtungen und Stilelementen ist, deswegen wird dort von niemandem erwartet, sich selbst untreu zu bleiben.
Inzwischen gehören Sie zu zahlreichen queeren Comedy-Autor*innen und -Performern, die ihr eigenes, sehr spezielles Ding machen, man denke nur an Joel Kim Booster mit „Fire Island“ (bei Disney+), Aaron Jackson und Joshua Sharp mit „Dicks: The Musical“ (ab Herbst auf DVD & Blu-ray) oder am Broadway gerade Cole Escola mit dem Stück „Oh Mary“. Ist das gerade ein Trend oder doch mehr?
Sagen wir es mal so: Es hat natürlich queere Stimmen immer schon gegeben, im Kino und anderswo. Doch wenn sie ihre ganz eigenen, persönlichen Geschichten erzählt haben, war eben immer ausgemachte Sache, dass sie damit nur in einer kleinen Nische existieren können. Und gerade für Comedy war da eigentlich kein Platz. Das ist nix für die Masse – so lautete das unausgesprochene Gesetz, selbst im Arthouse-Kino.
Als sich dann langsam etwas tat, ging es erst einmal darum, dem Mainstream- und Hetero-Publikum Dinge zu erklären und Lebenswelten näherzubringen. Deswegen drehte sich Queer Cinema eine ganze Weile eigentlich ausschließlich ums Queersein, was sicherlich notwendig, aber eben auch oft langweilig war. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass wir queeren Menschen weitestgehend als zur Bevölkerung gehörig wie alle anderen auch betrachtet werden und ein Mindestmaß an Selbstverständlichkeit Einzug gehalten hat.
Deswegen kann ich einen Film wie „Problemista“ drehen, in dem zwar der Protagonist queer ist, es aber inhaltlich nicht darum, sondern um Einwanderung und Bürokratie geht. Und überhaupt müssen queere Menschen in Film und Fernsehen auch nicht mehr als strahlende Vorbilder für ihre gesamte Community dienen, sondern dürfen auch Arschlöcher und Bösewichter sein und in albernen Komödien genauso vorkommen wie in coolen Liebesgeschichten. Diese Vielseitigkeit ist unglaublich wichtig, wenn es um wahrhaftige Menschlichkeit geht. Und ich hoffe, sie bleibt uns noch lange erhalten.